Mit Passionsfrüchten zum Erfolg

Ein Start-up mitten in Afrika

TU München, Stanford, MBA beim Collège, Vorstandsassistenz – und nebenher im Westen Kenias eine Unternehmensgründung. Was ein bisschen verrückt klingt, ist für unseren Alumnus Jens Wöhrle die Erfüllung eines Traums. Für ihn hat es den höchsten Wert, etwas ganz Eigenes gestalten zu können. In Kenia hat er parallel zu seinem Informatik-Studium eine eigene Farm aufgebaut. Einfach war das nicht. Im Gegenteil.

Angefangen hat alles mit einer Afrikadurchquerung in einem selbst umgebauten Toyota Landcruiser und mit jener stockdunklen Nacht, keine Beleuchtung weit und breit, in der Jens Wöhrle sich mitten im kenianischen Nirgendwo in der Reiseetappe verkalkuliert hatte und in der er eine Unterkunft oder zumindest eine geschützte Stelle zum Übernachten suchte. In einer sehr kleinen Ortschaft fand er schließlich eine sehr heruntergekommene Herberge, die nicht wirklich auf Gäste vorbereitet war. Der Kühlschrank war kaputt und das Bier warm, aber mit der Gastwirtin entspann sich ein nettes Gespräch. Sie hielten den Kontakt per Facebook und so trat einige Zeit später, Jens war schon längst wieder zurück in Deutschand, eine Kuh in sein Leben.

Die Kenianerin hatte diverse Geschäftsideen, für die sie um ein kleines Startkapital bat, und nach einem Misserfolg erreichte Jens eine E-Mail mit einem neuen Businessplan zur Milchproduktion:

Sie wollte sich eine Kuh kaufen und rechnete in ihrem Businessplan den Milchpreis im Vergleich zu den Futterkosten vor. Erstaunt stellte Jens fest, dass der Milchpreis in Kenia deutlich höher ist als in Europa und dass die Futterkosten dagegen viel weniger Budget verlangen.

Jens begann, neben seinem Studium intensiv zu recherchieren. Von Milchwirtschaft hatte der angehende Informatiker naturgemäß keinen blassen Schimmer. Aber seine Neugierde war geweckt und gleichzeitig wollte er etwas Gutes tun und die Kenianerin unterstützen. Schließlich flog er zurück nach Kenia, besuchte mehrere Farmen und analysierte die Marktlage. Das Ergebnis: ein ausgearbeiteter Businessplan und die Idee, im großen Stil zu gründen. Zusammen mit seinem Vater, mit dem er im Landcruiser Afrika durchquert hatte, setzte er den Plan schließlich um und gründete sein eigenes Unternehmen. Die erste Angestellte war jene Kenianerin mit der Geschäftsidee. Inzwischen sind es über 50 Festangestellte. „Bei meinen Recherchen vor Ort habe ich schnell gemerkt, dass vielen kenianischen Farmern das Know-how fehlt“, erzählt Jens. „Auch wir hatten damals wenig Wissen von professioneller Viehhaltung. Aber es fiel auf, dass kaum eine Milchfarm effizient aufgestellt war und die meisten Farmen unter schlechten Produktionsbedingungen litten. Daher haben wir uns das Wissen angeeignet, um dieses Problem zu lösen. Denn trotz des geringen Angebots und des hohen Preises ist die Nachfrage nach Milchprodukten in Kenia kulturell bedingt sehr hoch.“

Jens Wöhrle hat mit seinem Vater eine Farm in Kenia aufgebaut. Sie kauften 1,5 Hektar unbebautes Land und pachteten daneben über 100 Hektar. Sie organisierten zuverlässige Stromversorgung, bauten zwei Tiefbrunnen zur Wasserversorgung und errichteten Lagerhäuser und Ställe. Inzwischen ist das Agrar­Startup eine der größten Farmen in ganz Ostafrika.

„Wir haben eine hohe Marktopportunität gesehen und wollten mit europäischem Know-how und deutscher Effizienz in den Markt einsteigen und dabei noch etwas Gutes tun und Arbeitsplätze auf dem Land schaffen, sowie durch Wissenstransfer die Region unterstützen.“

Ein etwas kolonialistischer Ansatz, gibt Jens offen zu, aber die Kombination aus deutschem und kenianischem Wissen habe es in dieser Form kaum gegeben.

Zunächst mussten viele bürokratische Hürden genommen werden. Jens und sein Vater suchten dann im nächsten Schritt nach einem Stück Land, kauften schließlich 1,5 Hektar unbebautes Land und pachteten daneben über 100 Hektar. Sie organisierten zuverlässige Stromversorgung, bauten zwei Tiefbrunnen zur Wasserversorgung und errichteten Lagerhäuser und Ställe. Die ersten 20 Kühe erwarben sie bereits sechs Monate später, als die ersten Bauarbeiten abgeschlossen waren. Für den schnellen Start wurde das Futter zunächst ebenfalls gekauft, anstatt es selbst anzubauen. Jens absolvierte parallel sein Bachelor-Studium und sein Vater arbeitete weiter in seinem Job. Es war zunächst ein Teilzeit-Projekt, welches immer umfangreicher wurde.

„Die ersten zwei Jahre waren eine Katastrophe!“, erinnert sich Jens. „Alles ist schiefgegangen. Und wir haben blauäugig kalkuliert.“

Schnell stellte sich heraus, dass der Kapitalbedarf höher war, als geschätzt. Das größte Problem war jedoch, zuverlässige Arbeitskräfte zu finden, die nach ein paar ausgezahlten Tagelöhnen trotzdem noch weiterarbeiten wollten bzw. eine eigenständige Arbeitsmoral mitbrachten. Ein weiteres Problem war, gute Tierärzte zu finden. Durch Fehlbehandlung erkrankte Tiere fielen deshalb oft monatelang aus. Die Futterversorgung mit Vertrauen auf dritte Dienstleister ging ebenfalls schief. All dies zog lange Folgen nach sich. Und dann kam auch noch heraus, dass Teile vom Land doppelt verpachtet waren – als Ausländer habe man in so einem Fall die schlechteren Karten, berichtet Jens. Fazit: Die Kosten waren zu hoch bei gleichzeitig zu geringer Milchproduktion.

„Wir haben auf externe Dienstleister vertraut, Outsourcing eben. Das hat nicht funktioniert. Tierärzte, Futteranbau, Mähdrescher – überall wurden wir enttäuscht. Entweder man macht es selbst oder gar nicht.“

Bewohner des Dorfes Sikhendu im Westen Kenias lesen eine Stellenausschreibung von Jens Wöhrles Agrar-Start-up Emjay Farming.

Also bauten Jens und sein Vater das Futter selbst an, importierten gebrauchte Maschinen aus Europa, stiegen immer tiefer in die Materie ein. „Dadurch sind wir deutlich besser geworden, aber trotzdem hinter den Erwartungen zurückgeblieben – trotz aller Anstrengungen. Wir mussten uns eingestehen, dass wir es nicht besser hinbekommen hatten als der lokale Wettbewerb.“

Aufgeben war für Jens keine Option. Eine Weile verfolgten er und sein Vater die Idee, Saatgut für Bohnen und Mais zu produzieren, auf welches die kenianische Regierung ein Import-Verbot verhängt hat und welches entsprechend hochpreisig verkauft wird. Am Ende wurde dies jedoch zum Nullsummenspiel, insbesondere aufgrund der sehr großen Preisvolatilität im nationalen Markt und geänderter Importbedingungen, die den Markt verzerrt haben. Jens verwarf auch diese Idee.

Nach fünf Jahren befindet sich das Agrar-Startup nun in der dritten Phase und ist endlich profitabel geworden, und zwar im internationalen Markt.

Den Durchbruch hat der Fokus auf Qualitätsprodukte gebracht: Jens und sein Vater bauen nun Passionsfrüchte und Tamarillos (Baumtomaten) an – sehr sensible Pflanzen, weshalb es nur wenige Produzenten gibt. Damit gehen sie auf dem Weltmarkt in den Export. Die Früchte werden vor allem in die Arabischen Emirate und nach Großbritannien exportiert, die Ausschussware für den lokalen Markt und zur Saftproduktion verwendet. Die Passionsfrucht braucht mehrmals die Woche Behandlungen, die Pflanzen werden einzeln beobachtet und gepflegt. Das Know-how hat sich Jens vor Ort angeeignet und angelesen.

Zu Hause in Deutschland schloss er sein Studium ab und bewarb sich erfolgreich für den MBA beim Collège, um essentielle Management-Skills für sein Start-up zu erlernen. „Wir sind schon jetzt eine der größten Passionsfrucht-Farmen in ganz Ostafrika“, erzählt Jens stolz. Das Unternehmen hat 50 Festangestellte – alles Kenianer*innen. Jens und sein Vater pendeln von Deutschland regelmäßig zu ihrer Farm.

„In diesem großen Stil haben sich bisher wenige Unternehmen nach Afrika getraut. Wir sind in der Hinsicht Vorreiter. Aber es war definitiv und ist immer noch zu einem gewissen Grad ein Hochrisiko-Investment.“

Für das nächste halbe Jahr ist das Ziel, alle Prozesse weiter zu optimieren und die Qualität zu verbessern, um somit auch Fehler zu vermeiden. Ab Ende 2021 soll das Start-up dann gut strukturiert weiter wachsen, um eine Größe für den direkten Export erreichen zu können. In den nächsten Jahren sind über 200 Vollzeitangestellte geplant.

Jens wird es mit dem Wachstum seines Unternehmens weiterhin nach Kenia ziehen, da ist er sich sicher. Sein Job als Stabschef für die beiden CEOs bei der BNP Paribas Personal Investors mache ihm Spaß und er habe dort sicher eine spannende und steile Karriere vor sich, sagt er. Aber langfristig könne er sich vorstellen, für sein Unternehmen „Emjay Farming“ in Kenia auch in Vollzeit zu arbeiten und dort aus dem kleinen Unternehmen einen Konzern aufzubauen.

Und die Kühe? Die produzieren nur noch wenige Monate weiterhin Milch, dann wollen die beiden Gründer diesen Teil des Geschäfts verkaufen. Es war letztlich nur noch ein finanzielles Nullsummenspiel. Mit den gewonnenen Kapazitäten will Jens die Produktion der Passionsfrüchte und Tamarillos weiter ausbauen und das Geschäft durch Anbau von Maissilage und Gartenbohnen erweitern – aus biologischen und wirtschaftlichen Gründen eine sinnvolle Ergänzung.

Eine Mitarbeiterin von Jens Wöhrles Passionsfrucht-Farm bei der täglichen Kontrolle der empfindlichen Früchte. Das Unternehmen hat 50 einheimische Angestellte – 200 Mitarbeiter ist das Ziel. Die Früchte werden vor allem in die Arabischen Emirate und nach Großbritannien geflogen.

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