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Nationalität, ein Zufallsphänomen

Alumnus Djawad Hossaini hat schon in vier Ländern gelebt, bevor er überhaupt ins Berufsleben gestartet ist. Seine Karriere hat ihn dann in weitere vier Länder geführt. Aktuell ist er für Bosch als Referent der Geschäftsführung in Shanghai. Er bezeichnet sich selbst als transkulturell; Heimat ist für ihn nicht ortsgebunden. Wie macht er das? Ein Interview.

Djawad Hossaini in der Yunnan Provinz in China. (Foto: D. Hossaini)

Du hast in deiner Kindheit und Jugend sowie während des Studiums in verschiedenen Ländern gelebt. Ist es deshalb selbstverständlich, dass du auch beruflich international unterwegs bist?
Mein Lebenslauf hat es sicherlich begünstigt. Bevor ich anfing zu arbeiten, hatte ich bereits in vier unterschiedlichen Ländern gelebt. Daher ist die Hemmschwelle, in ein neues Land zu ziehen, vielleicht etwas niedriger als im Normalfall. Außerdem konnte ich bis jetzt nicht lange an einem Ort verweilen; das Neue zieht mich immer wieder an.

Denkst du, dass es ein internationales Mindset gibt? Hast du so eins?
Ich identifiziere mich nicht über Nationalität, welche für mich eher ein Zufallsphänomen darstellt, sondern sehe eine Verflechtung multipler Zugehörigkeiten in meiner Identität. Ich verstehe mich daher als Weltbürger bzw. transkulturell.

Kulturelle Differenzen sind dein ständiger Begleiter. Was ist dein Geheimrezept, um trotzdem zum Ziel zu kommen?
Ich würde es nicht unbedingt als „geheim“ bezeichnen, da es eigentlich naheliegend ist: Damit man die Vorteile kultureller Diversität nutzen kann, bedarf es einer egalitären Offenheit und Durchlässigkeit. Das heißt offen sein für das Neue, fern jedweder Beurteilung, Pauschalisierung und Voreingenommenheit.

"Es ist wichtig, dass aus potentiellen Differenzen in Technolgie und Wohlstand keine Rückschlüsse auf Wertigkeit der Kulturen gezogen werden."

Das ist leichter gesagt, als getan. Schuld ist unser Gehirn, das automatisch in Schubladen einsortiert. Wie schaffst du es, diesem neurologischen Prozess zu entkommen?
Vielleicht weil ich selbst oft in Schubladen gesteckt wurde, bin ich etwas stärker sensibilisiert diesbezüglich.

Wo würdest du deine Heimat verorten?
Mein Heimatbegriff ist nicht notwendigerweise ortsgebunden. Ich sehe meine Heimat vor allem in Familie, Sprachen, Literatur, kulturellen Praktiken … aber auch in Orten, an denen ich einige Jahre gelebt habe, und die mir immer noch ein Gefühl der Vertrautheit vermitteln.

Ist es nicht mühsam, bei jedem Ortswechsel die sozialen Kontakte wieder neu aufzubauen?
Freilich ist es mühsam, obwohl es heutzutage viele Netzwerke gibt, über die man etwas leichter neue soziale Kontakte knüpfen kann

Für Air Liquide warst du unter anderem in Dubai, für Bosch bist du nun in Shanghai. Wo gefällt es dir besser?
Für Air Liquide war ich ca. 8 Jahre in Frankreich und Singapur, und knapp 1 Jahr in Dubai. Natürlich hat jeder Ort seine Eigenheiten, die ich sehr schätze. Aber wenn ich zwischen Dubai und Shanghai wählen müsste, würde ich Shanghai bevorzugen. Obwohl beide Städte inzwischen stark westliche Züge tragen, findet man in Shanghai etwas mehr Authentizität.

Wie unterscheidet sich die Arbeitsweise der Araber und der Chinesen von der deutschen Firmenkultur?
Wenn man in einem multinationalen Unternehmen arbeitet, befindet man sich in der Regel in einem internationalen Umfeld, primär geprägt durch die Firmenkultur und weniger durch die Landeskultur. Ferner, tue ich mir schwer mit pauschalen Aussagen über „Araber“ oder „Chinesen“. „Araber“ ist z.B. ein Sammelbegriff für eine diverse Gruppe, verteilt über 22 Länder, jeder Stamm mit eigenen Besonderheiten (Dialekt, Konfession etc.). Die Gruppe der „Chinesen“ wäre mit 90 ethnischen Gruppen und 56 offiziellen Nationalitäten nicht weniger heterogen.
Wenn ich allerdings die lokalen Marktdynamiken vergleiche, ist China natürlich durch ein sehr hohes Maß an Tempo gekennzeichnet, welches wiederum die Dynamiken innerhalb der dort ansässigen Firmen prägt. Die in China ansässigen Firmen sind beispielsweise viel schneller und pragmatischer als die in Deutschland oder in den Emiraten.

Was sind deine Aufgaben in deiner aktuellen Position bei Bosch und vor welchen Herausforderungen stehst du?
Derzeit bin ich als Referent einer der Geschäftsführer tätig. Dementsprechend sind die Aufgaben recht divers. Der Hauptanteil der Themen ist allerdings strategischer Natur. Die Herausforderungen, mit denen meine Kollegen und ich uns beschäftigen, sind

1. die tiefgreifenden transformativen Prozesse in Technologien sowie in unseren Hauptmärkten (z.B. die Transformation der Automobilindustrie, oder Industrie 4.0) und

2. die aus geopolitischen Entwicklungen resultierende erhöhte Risikolage (z.B. Decoupling der Wertschöpfungsketten infolge zunehmender Rivalitäten zwischen China und den USA).

Welche Trends schätzt du als besonders zukunftsrelevant ein?
Ich sehe vier Megatrends als maßgeblich für die Zukunft: 1. Demografische Entwicklung,

2. Urbanisierung,

3. Klima und Energie,

4. Konnektivität.

Diese Megatrends triggern Verschiebungen in Technologien, Geschäftsmodellen und Märkten, sowie in Volkswirtschaften, Gesellschaften und nicht zuletzt in der Weltordnung. Sie bieten auch viel Potenzial für Disrup­tion. Die vierte industrielle Revolution, bzw. die Entstehung von cyber-physischen Netzwerken (Internet of Things) infolge zunehmender Konnektivität wäre nur ein Beispiel.

Wie geht es für dich langfristig weiter – ist zurück nach Deutschland eine Option?
Im Moment ist alles noch offen. Bis Ende nächsten Jahres bleibe ich in China. Die Folgeentscheidung treffe ich auf Basis verfügbarer Optionen. Deutschland wäre sicherlich auch eine Option.

Sich niederlassen, Wurzeln schlagen – kannst du das überhaupt noch? Oder hat dich schon längst der „Fluch der Nomaden“ überfallen?
Ist es wirklich ein Fluch? Mittlerweile könnte ich mir vorstellen, auch für längere Zeit an einem Ort zu bleiben … vielleicht liegt es am Älterwerden.

Was ist dir von deiner Zeit am Collège besonders in Erinnerung geblieben?
Die multikulturelle Atmosphäre. Die Begegnung mit besonderen Menschen, von denen viele zu Freunden geworden sind.

Was würdest du den Nachwuchs-Talenten mit auf den Weg geben – worauf kommt es besonders an?
So etwas wie Erfolgsrezept gibt es natürlich nicht. Man sollte vor allem auf eigene Stärken und Interessen schauen, und diese stets ausweiten. Eine gewisse Obsession mit Lernen wäre förderlich, denn lebenslanges Lernen wird sicherlich in Zukunft eine wichtige Rolle spielen. Die Fähigkeit, tragfähige Netzwerke aufzubauen und wirksam einzusetzen, wird nach wie vor von enormer Bedeutung sein. Last but not least; authentisch bleiben. Nur so ist der Erfolg nachhaltig.

Alumnus Djawad Hossaini in der Wüste von Dubai. (Foto: D. Hossaini)

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